Pressemitteilung der Antidikriminierungsberatungsstelle amira zu dem Anerkenntnisurteil des ArbG Hamburg zu muslimischem Koptuch in Unternehmen

Pressemitteilung                                             1/3

 

Nach drei Jahren Rechtsstreit: Heilerziehungspflegerin bekommt Recht und darf mit Kopftuch arbeiten.

 

Am 18.10.2021 hätte eine Verhandlung vor dem Hamburger Arbeitsgericht eine jahrelange rechtliche Auseinandersetzung mit einem klarstellenden Urteil beenden sollen – so war die Erwartung. Dies ist auch geschehen – durch ein Anerkenntnisurteil des ArbG Hamburg.

Dazu eine Erläuterung und Einschätzung von Klägerin, Anwalt und Beratungsstelle. Zum Inhalt und Hintergrund des Rechtsstreits:

2018 wurde Frau O. erst abgemahnt, dann gekündigt, weil die Muslima mit Kopftuch aus der Elternzeit bei der Arbeit erschienen war. Die Absicht war dem Arbeitgeber bereits vor ihrer Rückkehr bekannt, er missbilligte dies und erließ eine sogenannte Neutralitätsregelung, die das Zeigen jeglicher religiöser, weltanschaulicher und politischer Symbole, darunter explizit genannt auch das Tragen eines religiösen Kopftuchs oder einer Kippa verbietet. Frau O. wandte sich an die Antidiskriminierungsberatung amira von basis & woge e.V. und suchte das Gespräch mit dem Arbeitgeber. Ohne Erfolg.

Eine Kündigung wurde ausgesprochen, musste aber wegen erneuter Schwangerschaft zurückgenommen werden. Die beiden ausgesprochenen Abmahnungen und die Absicht, Frau O. nicht mit Kopftuch arbeiten zu lassen blieben aber bestehen. Da ihr die Klärung ihrer Situation wichtig war, klagte sie gegen die beiden Abmahnungen, die mit der Neutralitätsregelung begründet wurden. Sie wurde vom Arbeitgeber freigestellt. Das Hamburger Arbeitsgericht entschied 2018 nicht direkt, sondern reichte den Fall zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) weiter, dieser urteilte am 15.7.2021.

Der Europäische Gerichtshof sah in dem Fall zwar keine direkte, wohl aber indirekte Diskriminierung, die nur unter bestimmten Voraussetzungen und nach Maßgabe der nationalen Gesetze erlaubt sei. Nach Einschätzung von Anwalt und Beratungsstelle ein Urteil, das sehr klar bedeutet hätte, dass der beklagte Verein die Klage verloren hätte. Er hätte einen konkreten zu erwartenden ökonomischen Schaden nachweisen müssen, um den starken Eingriff in das Recht auf religiöse Selbstbestimmung zu rechtfertigen.

Das Ergebnis des Urteils hätte nun vom Hamburger Arbeitsgericht auf den Hamburger Fall angewandt werden sollen, um den Fall abzuschließen.

Ein vom Arbeitgeber angebotener Vergleich kam nicht zustande. Daraufhin erkannte die Firma die Ansprüche der Klägerin auf Rücknahme der Abmahnungen an, es erging ein

„Anerkenntnisurteil“ des Arbeitsgerichts am 11.10.2021. Der Arbeitgeber trägt die Kosten des Verfahrens, die Klägerin darf mit Kopftuch an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.

Mit ihrer Klage wollte die Klägerin nicht nur selbst ihre Arbeit wieder aufnehmen können, sondern auch auf die Unrechtmäßigkeit von Neutralitätsgeboten hinweisen, die ein Verbot, das Kopftuch zu tragen, einschließen.

Auch wenn es schöner gewesen wäre, ein abschließendes Urteil zu haben, ist dies aus Sicht des Anwalts Klaus Bertelsmann gelungen. Er kommentiert den Ausgang des Verfahrens wie folgt: „Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs war klar – es hatte für eventuelle Verbote des Tragens von mit religiösem Bezug getragenen Kopftüchern in Neutralitätsanordnungen vorgegeben, dass es sehr hoher Hürden bedarf. Private Arbeitgeber müssen ein rechtmäßiges Ziel verfolgen, um wegen Religion oder Weltanschauung ungleich zu behandeln, und sie müssen zudem im konkreten Einzelfall belegen können, dass zum Zeitpunkt der Einführung entsprechender Regelungen (z.B. Neutralitätsgebote) hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung dieses Ziels bestanden hat oder gegenwärtig besteht. Dies kann die konkret nachweisbare Gefahr von Unruhe im Unternehmen sein oder die konkret nachweisbare Gefahr von Ertragseinbußen.“

In diesem Sinne hat der europäische Gerichtshof für private Unternehmen klargestellt, was für staatliche Einrichtungen, z.B. Schule bereits länger geklärt ist: ein pauschales Verbot des Kopftuchs ist unzulässig. Ein Einzelfallverbot wiederum ist unzulässig wegen direkter Religionsdiskriminierung.

„Ich freue mich, wieder arbeiten zu dürfen“, kommentiert auch die Klägerin den Ausgang des Verfahrens. „Mir ist wichtig, dass alle Betroffenen wissen, dass sie das Recht haben, mit Kopftuch zu arbeiten wie alle anderen Menschen auch. Diversität darf nicht nur auf Flyern stehen, sondern muss gelebt werden. Dazu gehören Menschen, die wie ich ein Kopftuch tragen und das nicht nur in der Küche und der Reinigung, sondern in allen Bereichen. An meinem Verhalten und Arbeit als Erzieherin ändert sich durch mein Kopftuch anders als zu Unrecht unterstellt wird, nichts.“

Auch Birte Weiß von der Antidiskriminierungsberatungsstelle amira sieht darin die größte

Bedeutung: „Wir hoffen, dass der Prozess Arbeitgeber*innen veranlasst, ihre Vorgaben im Bezug auf das Tragen von Kopftuch oder Kippa anzupassen und damit der Rechtsprechung durch den EuGH Rechnung zu tragen. Es geht darum, einen Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe von Frauen zu leisten und mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass mit dem Tragen eines religiösen Symbols automatisch ein verändertes Verhalten einhergeht. Pädagogisches Handeln muss am Verhalten gemessen werden. Berufsverbote sind da nicht hilfreich und zudem eben unrechtmäßig. Uns als Beratungsstelle ist wichtig, dass Betroffene wissen, dass es Unterstützung gibt.“ 

Das Anerkenntnisurteil werten Anwalt, Klägerin und Beratungsstelle als Klarstellung, dass Neutralitätsregeln auch in privaten Unternehmen nicht als de facto Kopftuchverbot eingesetzt werden dürfen. Der Fall von Frau O. zeigt, wie wichtig diese rechtliche Klärung war. Nun können Unternehmen ihr Handeln neu bewerten und Diskriminierungsschutz besser umsetzen.

Am Ende einer langen Auseinandersetzung wird Frau O. nun wieder das unter Beweis stellen dürfen, was sie schon vor drei Jahren gesagt hat: “Ich bin mit Überzeugung Erzieherin und glaube, gute pädagogische Arbeit zu machen. Daran ändert mein Kopftuch nichts. Die Kinder kommen aus ganz unterschiedlichen Familien und Religionen. Warum sollten sie das nicht auch bei den Erzieherinnen wiederfinden?”

 

Kontakt zur Beratungsstelle und Klägerin Birte Weiß, basis & woge e.V. 0176-72843655 oder 040-39842671.

birte.weiss@basisundwoge.de Steindamm 11

20099 Hamburg www.adb-hamburg.de

advd