Bei der Debatte um die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, muss es auch um die Grundrechte von Betroffenen gehen!

Pressemitteilung

Berlin, den 26.07.23 

Bei der Debatte um die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, muss es auch um die Grundrechte von Betroffenen gehen!

Die Unabhängige Bundesantidiskriminierungsbeauftragte, Ferda Ataman, hat vor einer Woche ihr Grundlagenpapier zur AGG-Reform vorgelegt und dafür viel - oft unsachliche - Kritik bekommen. Der Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd), begrüßt, als Dachverband unabhängiger Antidiskriminierungsberatungsstellen und Mitglied im zivilgesellschaftlichen Bündnis „AGG Reform – Jetzt!“, alle 19 Punkte im Papier. Sie spiegeln die herrschenden Bedarfe und Forderungen der Antidiskriminierungsberatungspraxis wider. Das Papier macht auch darauf aufmerksam, dass dringender Reformbedarf beim effektiven Zugang zum Recht für Betroffene von Diskriminierung herrscht. 

Die scharfe Kritik gegenüber dem Grundlagenpapier von Ferda Ataman (ADS) insbesondere aus den Reihen der FDP-Bundestagsfraktion ist nicht nachvollziehbar. Das Verhalten der FDP und die rechtspopulistische Vereinnahmung der Debatte um die anstehende Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) schürt Verachtung für und Misstrauen gegen Betroffene von Diskriminierung. Solche eine Debatte lenkt außerdem vom eigentlichen Kernpunkt der Reform des AGG ab: dem Schutz der Grundrechte von Betroffenen von Diskriminierung.
Was uns an den Aussagen der Kritiker*innen auffällt ist, dass die Wenigsten aus der Antidiskriminierungsberatungspraxis kommen oder die Expertise von Betroffenen- bzw. Community-organisationen zum Thema Diskriminierung kennen. Der advd möchten daher kurz ein paar Kritikpunkte aufgreifen und zusammenfassen, worauf es aus Sicht der Expert*innen, die tagtäglich mit dem AGG arbeiten, ankommt.
Im AGG kommt den Antidiskriminierungsberatungsstellen (ADB) die wichtige Rolle zu, Betroffene von Diskriminierung zu beraten, sie über ihre Rechte aufzuklären und sie bei der (außer)gerichtlichen Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen und zu begleiten.
In 17 Jahren Praxiserfahrung sind die Schwächen des AGGs weitgehend bekannt:
Das Gesetz schützt nicht alle Betroffene von Diskriminierung. Die Erweiterung der Diskriminierungs-kategorien beispielsweise auf Sozialer Status, Familiäre Fürsorgeplichten, Körpergewicht und Sprache ist daher dringend notwendig. Das AGG ist außerdem nicht anwendbar auf alle Lebensbereiche. Es muss daher ausgeweitet werden auf staatliches Handeln, um vor allem bei institutioneller Diskriminierung wie beispielsweise „racial profiling“ angemessenen Rechtsschutz zu gewährleisten. 30% der Fälle, die durch die ADB dokumentiert werden, haben einen Bezug zu Rassismus und dies häufig im Kontakt mit Behörden oder anderen öffentlichen Stellen. Auch ist das rechtliche Vorgehen gegen Diskriminierung in vielen Fällen zu schwierig. Dies hat viel zu häufig mit der im AGG sehr knapp gefassten Geltendmachungsfrist von 2 Monaten zu tun. In der Konsequenz stehen Betroffene von Diskriminierung am Ende oft allein mit dem Erlebten und seinen negativen Konsequenzen da. Seit Jahren fordern Expert:innen daher die Verlängerung der Geltendmachungsfrist auf 12 Monate sowie die Einführung der Prozessstandschaft für Verbände, damit Bertoffene nicht mehr allein den Klageweg mit all seinen finanziellen Risiken sowie emotionalem und zeitlichen Aufwand gehen müssen. Es braucht außerdem die Einführung eines Verbandsklagerechts, das unabhängig vom Einzelfall bei struktureller Diskriminierung greift.
Die wenigsten Betroffenen wollen oder können klagen, weil auch der Nachweis einer Diskriminierung mitunter schwierig ist. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Beweislasterleichterung, die auch von den EU-Gleichbehandlungsrichtlinien vorgegeben ist, als ein notwendiges Mittel zur Wahrung der Grundrechte von Betroffenen für einen effektiveren gerichtlichen Zugang zum Recht. Sie soll Betroffenen, die vor Gericht eher in Beweisnot sind, den Nachweis einer Diskriminierung ermöglichen, indem sie Tatsachen nur glaubhaft machen müssen, die eine Diskriminierung hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen. Außerdem ist die Beweislasterleichterung auch in vielen anderen Rechtsbereichen (z.B. Ärzt*innenhaftungsrecht, Verkehrs-recht) durchaus üblich.
Dies und viele weitere Änderungsvorschläge für die Reform des Antidiskriminierungsrechts werden im Grundlagenpapier der Unabhängigen Bundesantidiskriminierungsbeauftragten, Ferda Ataman, aufgegriffen und finden sich auch in den Forderungen der Zivilgesellschaft wieder.    

„Der Diskriminierungsschutz leidet bisher nicht unter zu vielen Klagen, sondern zu wenig Klagen. Wir sollten Respekt haben, wenn Menschen gegen die Diskriminierung, die sie erfahren, vorgehen, statt ihnen mit Misstrauen und Vorwürfen zu begegnen. Sie tun dies nämlich trotz der zu erwartenden Bagatellisierung der Erfahrung, trotz des zeitlichen und finanziellen Risikos. In der Beratung sehen wir, dass die meisten dies nicht auf sich nehmen wollen. Ihnen geht es um etwas anderes. Sie wollen ernst genommen werden, wollen, dass die Institutionen Verantwortung übernehmen und etwas ändern. Vor allem aber wollen sie, dass Andere nicht das Gleiche erleben.", sagt Andreas Foitzik (Vorstandsmitglied advd)

Der advd ist Teil des Bündnis AGG Reform – Jetzt!, das aus mehr als 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen besteht. Das Bündnis vertritt verbands- und diskriminierungsmerkmalsübergreifend 11 zentrale zivilgesellschaftliche Forderungen zur AGG-Reform und setzt sich für einen zügigen und partizipatorischen Reformprozess ein. 

Mehr Informationen dazu gibt es unter: https://agg-reform.jetzt/

Pressekontakt: Nadiye Ünsal, nadiye.uensal@antidiskriminierung.org, 017688093113  

 

 

advd