Die Tücke des Berliner Koalitionsvertrages: Das sog. Neutralitätsgesetz

Pressemitteilung

Berlin, den 20.12.2021

Der Berliner Koalitionsvertrag verspricht viel Gutes für eine bessere Antidiskriminierungspolitik. In puncto Neutralitätsgesetz beklagen Berliner Antidiskriminierungsberatungsstellen jedoch, dass sich Rot-Grün-Rot ihrer politischen Verantwortung entzieht und damit die Diskriminierung muslimischer Frauen* mit Kopftuch im Bildungsbereich weiterführt.

Der Berliner Koalitionsvertrag erfreut in vielen Punkten Akteur*innen der Antidiskriminierungsarbeit. Zentrale Forderungen wurden berücksichtigt, wie etwa die Stärkung der Stelle der*des Antidiskriminierungsbeauftragte*n bei der Senatsverwaltung für Bildung, die Etablierung einer unabhängigen Beschwerdestelle für den Bildungsbereich beim Parlament, die Errichtung einer Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und die Verstetigung der Antidiskriminierungs-, Beratungs- und Empowermentstrukturen der zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Für Verärgerung sorgt der Koalitionsvertrag allerdings in puncto Neutralitätsgesetz. Hierzu sieht der Koalitionsvertrag nämlich vor: „Die Koalition passt das Berliner Neutralitätsgesetz in Abhängigkeit von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an“. Diese Formulierung ist irreführend, denn es klingt zunächst so, als würde sich die neue Koalition endlich an die längst überfällige Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts von 2015 wagen. Diese hatte bereits 2015 entschieden, dass ein Verbot des Tragens eines Kopftuchs durch eine Lehrerin nicht pauschal zum Zwecke der abstrakten Gefahrenabwehr erfolgen darf. Doch gemeint ist offenbar die noch ausstehende Rechtsprechung bezüglich der kürzlich eingereichten Verfassungsbeschwerde, mit der der Bildungssenat gegen die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27.08.2020 vorgeht. Das Bundesarbeitsgericht hatte am 27.08.2020 abschließend die Verurteilung des Landes Berlin zur Zahlung einer Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aufgrund der Verweigerung der Einstellung einer angehenden Lehrerin mit Kopftuch bestätigt. Das Gericht hat die Bildungsverwaltung an die langjährige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erinnert: Ein pauschales Kopftuchverbot ist verfassungswidrig. Und auch der damalige SPD-geführte Bildungssenat hatte entgegen der Verständigung innerhalb der Koalition und entgegen großer Bedenken von Politiker*innen, Jurist*innen und Antidiskriminierungsorganisationen den Streit politisch verschleppt und damit die diskriminierende Einstellungspraxis fortgeführt. Mit ihrer Entscheidung bezüglich des Neutralitätsgesetzes führt die neue Koalition die Diskriminierung muslimischer Frauen* mit Kopftuch im Bildungsbereich weiter fort.

Gut qualifizierte Frauen, Erzieherinnen, Lehrerinnen, Quereinsteigerinnen und Sozialpädagoginnen, die Berlin so dringend braucht, werden nach wie vor pauschal aufgrund des Kopftuches abgelehnt. Der Fehler der scheidenden Landesregierung zum diskriminierenden Neutralitätsgesetz setzt sich nun unter der neuen Koalition weiter fort, statt dafür zu sorgen, dass sich das Land Berlin an Recht und Gesetz hält. Berliner Antidiskriminierungs-Beratungsorganisationen fordern eine Überarbeitung des Koalitionsvertrags an diesem Punkt und die Sicherstellung der diskriminierungsfreien Anstellungsmöglichkeiten für alle Frauen*, egal welcher Religion.

Pressekontakt: Zeynep Cetin, Inssan e.V., Tel 0163 6149934, E-Mail zeynep.cetin@inssan.de

Beteiligte Verbände/Antidiskriminierungsakteur*innen:

Antidiskriminierungsberatung Alter, Behinderung, Chronische Erkrankungen (adb) / Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V.

Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin (ADNB)

Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) e.V.

Bund für Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit (BDB) e.V.

Inssan e.V.

KiDs – Kinder vor Diskriminierung schützen e.V. / ISTA

Lesbenberatung e.V. / LesMigraS

advd