BEFORE zieht Bilanz: Diskriminierungen und rechte, gruppenbezogen menschenfeindliche Gewalt in der CoronaPandemie 202
München, 16. März 2021
• In 324 Fällen hat BEFORE 2020 Betroffene unterstützt
• Antiasiatischer Rassismus und Fälle im Wohnumfeld haben zugenommen
• Grundlose Berufungen auf Diskriminierungen durch die Maskenpflicht schaden Betroffenen
Ob im Job, in der Schule oder im öffentlichen Raum – 2020 waren zahlreiche Münchner*innen Diskriminierungen und rechten, gruppenbezogen menschenfeindlichen Angriffen ausgesetzt. In 324 Fällen haben die Berater*innen von BEFORE Betroffene begleitet – der Bedarf an Unterstützung ist ungebrochen hoch.
Wie schon in den vier vorangegangenen Jahren stieg die Anzahl der Beratungsfälle 2020 weiter an: im Vergleich zum Vorjahr wurden über 35% mehr Fälle beraten. Allein 192 Fälle wurden neu in die Beratung aufgenommen, das entspricht ebenfalls einer Zunahme von mehr als 30% gegenüber 2019. Da die Auswirkungen von Diskriminierungen und Angriffen mitunter lange Zeit anhalten, unterstützt BEFORE zudem zahlreiche Betroffene, die schon vor 2020 in die Beratung gekommen sind.
In der Antidiskriminierungsberatung stieg im vergangenen Jahr die Anzahl der Fälle am Arbeitsplatz erneut an, sodass diese ein Drittel aller Beratungen ausmachen.
Lea Tesfaye, Antidiskriminierungsberaterin bei BEFORE, betont: „Zu BEFORE kommen zahlreiche Ratsuchende, die in ihrem beruflichen Umfeld diskriminiert werden. Starke Abhängigkeiten und steile Hierarchien begünstigen oft ein diskriminierendes Klima am Arbeitsplatz. Es braucht daher in allen Unternehmen Mechanismen zur Vermeidung von und den Umgang mit Diskriminierungen wie Beschwerdemöglichkeiten und Unterstützung für die betroffenen Mitarbeiter*innen.“
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie waren in beiden Beratungsfachbereichen von BEFORE zu spüren. Deutlich mehr Fälle in der Opferberatung für Betroffene von rechter, gruppenbezogen menschenfeindlicher Gewalt spielten sich beispielsweise im häuslichen Umfeld ab – die Zahl dieser Beratungsfälle verdreifachte sich im Vergleich zu 2019.
„Unter den Bedingungen des Lockdowns verbrachten die Menschen in München 2020 zwangsläufig viel mehr Zeit in ihrer Wohnung. Wenn sie dann in diesem intimen Rückzugsort zum Ziel von Angriffen, etwa von Nachbar*innen werden, hat das gravierende Folgen. Betroffene müssen daher unbedingt geschützt und unterstützt werden – ganz besonders seitens der Vermieter*innen. Mieter*innen müssen etwa bei Immobilienverwaltungen Ansprechpartner*innen haben, die sich aktiv um Probleme wie rechte, gruppenbezogen menschenfeindliche Angriffe kümmern“, fordert Anja Spiegler, Beraterin in der Opferberatung bei BEFORE.
BEFORE beobachtete 2020 in München einen Anstieg von rassistischen Diskriminierungen und Angriffen gegen Menschen, die als asiatisch gelesen werden. Neben den aus der Presse bekanntgewordenen Fällen verzeichnete die Beratungsstelle mit sieben Beratungsfällen eine rapide Zunahme derartiger Anfragen – hinzu kommt eine anzunehmende hohe Dunkelziffer. Betroffene werden oft mit Bezug zu ihrer (angenommenen) Herkunft und der Corona-Pandemie angefeindet, beschimpft, bedroht und angegriffen.
Eine Betroffene berichtet von einer Diskriminierung, die sie in einem Supermarkt in der Münchner Innenstadt erlebte: „Es war zum Ende meiner zweiten Woche in Deutschland und ich war gerade mit einer alltäglichen Sache wie dem Einkaufen beschäftigt, als ich zum Ziel von rassistischem Hass wurde. Vielleicht waren es meine langen schwarzen Haare und meine braune Hautfarbe, die mich „anders“ aussehen ließen – selbst in diesem ruhigen Gang zwischen Supermarktregalen am Nachmittag eines Wochentags.“
Ihr näherte sich plötzlich eine Frau und beleidigte sie rassistisch mit Bezug zu ihrer (angenommenen) Herkunft. Nach der ersten Attacke kehrte die Angreiferin eigens erneut zurück, um die wüsten Beschimpfungen zu wiederholen.
Die Auswirkungen dieser Diskriminierung schildert die Betroffene wie folgt: „Die Erfahrung ließ mich schockiert zurück, ich fragte mich, wie ich hätte reagieren können und ob ich vielleicht etwas getan hatte, das die Attacke ausgelöst haben könnte. Heute denke ich, solche rassistischen Angriffe können jederzeit und überall ohne Vorwarnung geschehen. Rassismus unterschlägt, dass man sich nicht aussuchen kann, in welche Familie, in welchem Land und mit welchem Aussehen man geboren wird. Zwei, drei Wochen nach der Attacke traf ich die bewusste Entscheidung, zum ersten Mal wieder in diesen Supermarkt zu gehen. Ich bemerkte, dass ich mich immer wieder umsah, um zu sehen, ob die Angreiferin dort war und wieder versuchen würde mich anzugehen. Da war mir klar, dass diese Erfahrung mich sehr stark getroffen hatte.“
Der Anstieg von antiasiatischem Rassismus ist eine Herausforderung für die gesamte Münchner Stadtgesellschaft. Sie muss sich vor die Betroffenen stellen und deutlich machen, dass sie Rassismus auch in der Corona-Pandemie konsequent entgegentritt.
BEFORE stellt seit Mitte 2020 eine zunehmende Zahl von Fällen fest, in denen versucht wird, ohne einen nachvollziehbaren medizinischen Grund mit Hilfe der Beratungsstelle die Maskenpflicht zu umgehen. Immer wieder behaupten Menschen ohne stichhaltige Grundlage, dass sie diskriminiert würden, wenn sie zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung angehalten werden. Sie verlangen, von den Vorschriften zum Tragen von Masken ausgenommen zu werden und versuchen so die Antidiskriminierungsregelungen für ihre Zwecke auszunutzen.
„Der Missbrauch von essentiellen Maßnahmen zum Schutz Betroffener, die in der Corona-Pandemie zusätzlichen Belastungen ausgesetzt sind, muss aufhören. Menschen, die in ihrem Alltag Diskriminierungen oder Abwertungen etwa mit Bezug zu ihrer Religion oder ihrer Geschlechtsidentität erleben, brauchen jetzt besondere Solidarität und Unterstützung. Die Instrumentalisierung und Entwertung der Schutzvorkehrungen schadet ihnen“, sagt Damian Groten, Pressesprecher von BEFORE.
„Die Corona-Pandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf die bestehenden Probleme in München bezüglich Ausgrenzung und rechter Gewalt. Eine hohe und weiter wachsende Anzahl von Beratungen, eine Zunahme von Fällen im Wohnumfeld und ein Anstieg von antiasiatischem Rassismus sprechen eine deutliche Sprache. Dass nur in einem kleinen Teil der Fälle in unserer Antidiskriminierungsberatung den Betroffenen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz dabei hilft, sich rechtlich zu wehren, zeigt, dass dieses dringend verbessert und etwa in Sachen Fristen an die Praxis angepasst werden muss. Eine wertvolle Unterstützung wäre außerdem ein Landesantidiskriminierungsgesetz, wie es das Land Berlin 2020 eingeführt hat. Höchste Zeit, dass Bayern hier nachzieht!“, Siegfried Benker, 1. Vorsitzender, BEFORE e.V.
Nähere Informationen zur Beratungsstelle sind auf www.before-muenchen.de einsehbar, BEFORE wird von der Landeshauptstadt München jährlich mit einer Summe von 439.202 Euro gefördert.
Im Anhang finden Sie Statistiken zur Arbeit von BEFORE im Jahr 2020. Für Interviewanfragen wenden Sie sich bitte an presse@before-muenchen.de.