ADVD-Empfehlungen an den Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus & Rassismus

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An

Staatssekretärin des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Frau Juliane Seifert

Glinkastraße 24

10117 Berlin

Staatssekretär Bundesministerium des Innern, Heimat und Bau

Dr. Markus Kerber

Alt-Moabit 140

10557 Berlin


Berlin, 05.08.2020

Empfehlungen an den Kabinettsausausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus

Sehr geehrte Frau Seifert, sehr geehrter Herr Dr. Kerber,

wir bedanken uns für die Möglichkeit, unsere Expertise im Rahmen eines Konsultationsverfahrens zur Entwicklung von Maßnahmen gegen Rassismus einbringen zu können.

Wir verweisen dabei auf die vom Begleitausschuss der Bundeskonferenz der Migrant*innenorganisationen (BKMO) zentralen Forderungen, die wir ausdrücklich unterstützen.

Der Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) ist der bundesweite Dachverband von unabhängigen Antidiskriminierungsberatungsstellen. Seine Mitgliedsorganisationen verfügen über langjährige Erfahrungen in der Antidiskriminierungsarbeit mit Schwerpunkt auf der Beratung und dem Empowerment von Betroffenen von (rassistischer) Diskriminierung.

Gemeinsam mit dem RAA Berlin und Citizens For Europe wird der advd unter anderem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als „Kompetenznetzwerk Antidiskriminierung und Diversitätsgestaltung“ gefördert.

Als Fachverband fördert der advd die Professionalisierung der Antidiskriminierungsberatung als Feld der Sozialen Arbeit durch die (Weiter)Entwicklung von Fachstandards und die Qualifizierung von Berater*innen. Zusätzlich unterstützt und begleitet er den Aufbau einer flächendeckenden Unterstützungsstruktur und setzt sich für die Verbesserung des rechtlichen Diskriminierungsschutzes ein.

Vor diesem Hintergrund möchten wir drei Themen hervorheben für die Entwicklung wirkungsvoller Maßnahmen gegen Rassismus:

  • Staatliche Gleichbehandlungsstellen

  • Beratung und Unterstützung von Betroffenen von rassistischer Diskriminierung

  • Recht gegen (rassistische) Diskriminierung

Handlungsfeld Nr. 1: Staatliche Gleichbehandlungsstellen

Anregung zu B

Stärkung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)

sowie verbesserte staatliche Strukturen im Bereich der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus

  • Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes muss vollständig unabhängig werden und darf nicht ministeriell angebunden sein, so wie z.B. der Datenschutzbeauftragter.

  • Die Wahl der Leitung muss unabhängig von der Exekutive erfolgen und allein nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung erfolgen.

  • Die Befugnisse der ADS müssen auf umfassende Auskunfts-, Beanstandungs-, Beteiligung-, Untersuchungs- und Klagerechte erweitert werden.

  • Die entsprechend dieser Aufgaben notwendige finanzielle und personelle Ausstattung muss sichergestellt werden.

Staatliche Gleichbehandlungs-/Antidiskriminierungsstellen sind wichtige Akteure, wenn es darum geht vor Diskriminierung zu schützen und diese zu bekämpfen. Sie können Maßnahmen gegen Diskriminierung auf Bundes– und Landesebene koordinieren, entwickeln, umzusetzen und überprüfen. Dazu gehören u.a. Sensibilisierungsmaßnahmen, Öffentlichkeitsarbeit, Forschung und die Orientierung und Unterstützung von Betroffenen von Diskriminierung.

Nach wie vor existieren aber nicht in allen Bundesländern staatliche Antidiskriminierungsstellen bzw. sind diese nicht mit notwendigen Kompetenzen und Ressourcen ausgestattet.

Letzteres betrifft ebenso die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die in ihrem gesetzlichen Mandat und bestehenden Befugnissen sowie in ihrer Ausstattung unzureichend aufgestellt ist und beispielsweise nur sehr begrenzt Betroffene beraten und unterstützen kann und kein eigenes Beanstandungs- und Untersuchungsrecht hat.

Entsprechend der aktuellen Empfehlungen der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI)1, der Standards für Gleichbehandlungsstellen von Equinet (Europäisches Netzwerk der Gleichbehandlungsstellen) und der im Auftrag der ADS durchgeführten Evaluation des AGG braucht es eine Neuaufstellung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Im Ergebnis muss die ADS vollständig unabhängig aufgestellt werden, sowie eine angemessene finanzielle und personelle Ausstattung und eine neues, von der Exekutive unabhängiges Verfahren für die Besetzung der Leitung gewährleistet sein.

Handlungsfeld Nr. 2: Beratung und Unterstützung von Betroffenen von rassistischer Diskriminierung

Anregungen zu A, B und C

A. Ausbau der Unterstützung von Betroffenen von rassistischer Diskriminierung und sozialem Umfeld

B. Wirksamer Opferschutz

C. Verbesserung von nachhaltigen Strukturen der Rassismusbekämpfung

Aus – und Aufbau eines bundesweiten Netzes an Antidiskriminierungsberatungsstellen (ADB) mit gesicherter Finanzierung

  • Mit einem Sofortprogramm i. H. v. 16 Mio. EUR muss der Auf- und Ausbau von bedarfsgerechten Antidiskriminierungsberatungsstrukturen bundesweit unterstützt werden. Dabei sind auch gruppenspezifische Beratungsangebote für die Zugänglichkeit und Niedrigschwelligkeit unumgänglich (spezifische Beratung zu Anti-Schwarzem Rassismus, Anti-Muslimischer Rassismus, Gadje-Rassismus gegenüber Sinti und Roma etc.)

  • Mittelfristig ist es notwendig, die Antidiskriminierungsberatung im Rahmen eines Demokratiefördergesetzes gesetzlich zu verankern und eine nachhaltige Finanzierung sicherzustellen.  Ziel des Gesetzes muss es auch sein, Empowerment, also die zivilgesellschaftliche Vernetzung innerhalb diskriminierter Gruppen, zu fördern.

Die Förderung von Antidiskriminierungsberatungsstellen, an die sich Betroffene von Diskriminierung hinwenden können, ist ein unerlässlicher Baustein einer proaktiven Antidiskriminierungspolitik. Zuletzt hat ECRI in seinem aktuellen Staatenbericht2 die Dringlichkeit dieser Empfehlung unterstrichen. Neben der Opferberatung, die in Gewaltfällen den Betroffenen zur Seite steht, gewährleisten Antidiskriminierungsberatungsstellen (ADB) professionelle Unterstützung für Menschen, die beispielsweise auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt, im Bildungsbereich oder im Kontakt mit Behörden Diskriminierung erfahren. Ohne diese Unterstützung ist es für viele rassistisch diskriminierte Menschen schwierig bis unmöglich, ihre Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen. Die ADBs leisten damit einen unverzichtbaren Beitrag für die Antidiskriminierungsarbeit.

Aktuell gibt es massive Versorgungsdefizite für diese Beratungs- und Unterstützungsleistung - in mehreren Bundesländern und in vielen Regionen sind Betroffene auf sich allein gestellt. Der Aufbau einer flächendeckenden, erreichbaren Beratungsstruktur ist dringend notwendig, um den Zugang zu Recht und professionelle Beratung für rassistisch diskriminierte Menschen zu ermöglichen (ausführlich hier3).

Handlungsfeld Nr. 3: Recht gegen (rassistische) Diskriminierung

Anregungen zu A, B und C

Rechtlichen Diskriminierungsschutz stärken und ausbauen

  • Allen voran muss es möglich sein, dass Verbände für Betroffene klagen können, sowohl in Einzelfällen als auch in Diskriminierungsfällen, die eine strukturelle Dimension haben (Verbandsklage und Prozessstandschaft).

  • Die Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz muss von 2 Monaten auf 1 Jahr verlängert werden.

  • Die Höhe der Entschädigungsansprüche darf nicht begrenzt sein und muss entsprechend der EU-Richtlinien gegen Diskriminierungen einen abschreckenden Charakter haben.

  • Schutzlücken im Diskriminierungsschutz müssen geschlossen werden. Neben Antidiskriminierungsgesetzen auf Landesebene (LADG) braucht es dafür ein Bundesantidiskriminierungsgesetz (BADG) zum Schutz vor Diskriminierung durch staatliche Stellen.

Seit 2006 ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft, das Menschen in Anspruch nehmen können, wenn sie im privatrechtlichen Bereich Diskriminierung erfahren, so auch rassistische Diskriminierung.

Das Gesetz war ein wichtiger Schritt für den Diskriminierungsschutz in Deutschland.

Allerdings hat sich in mittlerweile 14-jähriger Praxis auch gezeigt, dass es unzureichend ist. Die meisten Betroffenen rassistischer Diskriminierung können das Gesetz nicht nutzen, da zu viele und zum Teil unüberwindbare Hürden bestehen. Im Ergebnis kann das Gesetz in vielen Fällen seine Wirkung nicht entfalten. Gleichbehandlung und Schutz vor Diskriminierung müssen aber auch durchsetzbar sein und nicht nur auf dem Papier stehen. Deshalb muss das AGG dringend reformiert werden.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat das Gesetz 2016 evaluieren lassen. Auf dieser Grundlage und der langjährigen Erfahrung aus der Beratungspraxis der Antidiskriminierungsberatungsstellen lassen sich zahlreiche notwendige Änderungen ableiten.

Darüber hinaus bestehen nach wie vor Schutzlücken im rechtlichen Diskriminierungsschutz, da das AGG nur den privatrechtlichen Bereich, nicht aber staatliches Handeln umfasst. Das grundgesetzliche Gleichbehandlungsgebot und die entsprechenden Regelungen in den Länderverfassungen sind in der Praxis nicht ausreichend und müssen flankiert werden durch einfachgesetzliche Regelungen, die es auch ermöglichen, Recht in Anspruch in zu nehmen, wenn Diskriminierung auf staatliches Handeln zurückzuführen ist.

Mit freundlichen Grüßen

Eva Andrades

Geschäftsführerin des advd

1 https://www.coe.int/en/web/european-commission-against-racism-and-intolerance 

2 Von den 15 konkreten Empfehlungen des Berichts hebt ECRI zwei als besonders dringlich hervor. Als besonders dringlich wird demnach der Aufbau eines „stimmigen Systems von Organisationen“ zur Unterstützung von Opfern von Diskriminierung durch die Einrichtung unabhängiger Antidiskriminierungsstellen in allen 16 Ländern angesehen. Zum anderen fordert ECRI eine Studie über Racial Profiling durch die Polizei in Bund und Ländern.  https://www.coe.int/en/web/european-commission-against-racism-and-intolerance 

3 Advd (2017): Antidiskriminierungsberatung (um)setzen - 10 Fragen und Antworten zum Wie und Warum https://www.antidiskriminierung.org/materialien/antidiskriminierungsberatung-umsetzen



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